Grußwort von Jonas Zipf – Schauspieldirektor Staatstheater Darmstadt

Denn, um es endlich auf einmal herauszusagen, der Mensch spielt nur, wo er in voller Bedeutung des Worts Mensch ist, und er ist nur da ganz Mensch, wo er spielt.

Eines der berühmtesten Zitate der deutschen Literaturgeschichte. Eines der schönsten und eines der zutreffendsten für unsere Arbeit mit der Hessischen Spielgemeinschaft. Friedrich Schiller bringt in seiner philosophischen Schrift „Über die ästhetische Erziehung des Menschen“ auf den Punkt, was sich das Regieteam um David Gieselmann von der Zusammenarbeit mit der Hessischen Spielgemeinschaft erhoffte: einen spielerischen Datterich, einen menschlichen Datterich, Niebergalls Klassiker und seine Figuren als spielende Menschen, als Homines ludentes.

Das war es, was ich mir von der Nominierung des Darmstädter Autors und Regisseurs David Gieselmann versprach: Wir wollten einen Prozess in Gang setzen, der neben dem Hessischen die anderen zwei Worte im Titel dieser berühmtesten aller Theater-Laienspielgruppen betont: Das Spiel und die Gemeinschaft. Uns war bewusst, dass wir den Klassiker Datterich nur auf spielerische Art und Weise und gemeinsam mit der Hessischen Spielgemeinschaft erneuern konnten.

Denn der Anspruch der Erneuerung und Verjüngung tat bitter not. Allzusehr war der Datterich und sein starker Stadtbezug in den letzten Jahren und Jahrzehnten in Vergessenheit geraten.Vor allem den Jüngeren sagte er wenig bis gar nichts. Und war das nicht ein Teil des Problems? Hatten und haben die, die den Datterich aufführten und aufführen, nicht ein Nachwuchsproblem? Um andere Schichten als Zuschauer und potentielle spätere Mit-Spieler zu gewinnen, bedurfte es einer neuen, jüngeren Version des Datterich auf der Bühne des Staatstheaters. Einer Inszenierung, die den Datterich, seine Kumpanen und Gegenspieler, als Spieler und spielende Gemeinschaft zeigt.

Von Anfang an befanden wir uns dabei im Zwiespalt zwischen Schutz der Tradition und ihrer Erneuerung, zwischen Bewährt-Bekanntem und Experimentierfreude. Schon die ersten Gespräche zeigten, dass entsprechende Spannungen längst mitten durch die Spiel Gemeinschaft gingen. Für uns konnte es nur einen Weg geben: Offene Kommunikation und konkretes Spiel. Eine Reihe von Work-Shops bewies uns, wie groß die Freude am Spiel sowie die Bereitschaft zu Transparenz und Streitbarkeit in der Gruppe sind. Schnell war klar: Unser Trumpf ist die Gruppe, das Regie-Konzept leitete sich aus ihr und von ihren Spieler-Typen ab. Und die zogen voll mit, entwickelten im Lauf der Proben und Aufführungen eine Gruppenenergie, die mich bis jetzt tief beeindruckt.

Gerade weil das Ensemble des Gieselmannschen Datterich letztlich nur einen Teil der gesamten Hessischen Spiel Gemeinschaft repräsentiert, bin ich von ihrem Gemeinschafts-Geist und ihrem Durchhaltevermögen überzeugt. Immer wieder habe ich miterlebt, wie hoch es innerhalb des Vereins herging, wie heißblütig manche interne Debatte geführt wurde. Doch davon ließ sich die Gruppe nicht irritieren. Ganz im Gegenteil hat es sie eher zusammengeschweißt. So dass am Ende mal wieder eine alte Theater-Binsenweisheit zutrifft, die Schillers Bonmot vom spielenden Menschen in Bezug auf die praktische Theaterarbeit perfekt ergänzt und auf der Bühne des neuen Datterich deutlich zu erkennen ist: Theater ist ein Mannschaftssport. Wäre die Hessische Spiel Gemeinschaft meine Großmutter und ich dazu aufgerufen, die Rede zu ihrem 90zigsten zu halten, so würde ich folglich von ihrer Virilität und Beweglichkeit schwärmen. Mit all ihrer spielerischen Energie und künstlerischen Experimentierfreude, auch mit all ihren Kontroversen und Streitereien hat die Arbeit mit David Gieselmann eines bewiesen: Tot ist sie noch lange nicht, die Hessische Spiel Gemeinschaft. Vielmehr gilt: 90 Jahre und kein bisschen müde! Nicht müde, den Datterich und andere Texte auf ihre komödiantischen Qualitäten hin abzuklopfen, auf Tempo, Wortwitz und Spielfreude. Nicht müde, sich zu erneuern und zu verjüngen, den Mundart-Kanon immer wieder neu zu entdecken, auch den Datterich aus bisher nicht da gewesenen Blickwinkeln zu betrachten. Nicht müde, die spielende Gemeinschaft, das gemeinsame Spiel immer wieder mit Energie und Lust aufzuladen. Wie weiland Turnvater
Jahn. Auf dass sie auf diese Weise frisch, fromm, fröhlich und vor allem frei bleibe, weitere 90 Jahre,
mindestens!

Jonas Zipf

War in der Spielzeit 2015/16 Schauspieldirektor am Staatstheater Darmstadt und dort der betreuende Dramaturg der aktuellen Inszenierung des Datterich